Rathaus Bad Vilbel Eingang

In die Geschichte des Kurhauses einsteigen

Seit über einem Jahr glänzt das denkmalgetreu sanierte Kurhaus wieder so, wie es Generationen von (Bad) Vilbelern kannten. Jüngst wurden auch die großen Letter über dem Eingangsportal angebracht, sodass von Weitem sichtbar ist, welches Gebäude hier steht. Doch wie kam es eigentlich zu diesem Gebäude? Wer machte sich dafür stark und wie sah die wechselvolle Geschichte des einstigen Volkshauses aus? Darüber geben nun Tafeln auf dem Günther-Biwer-Platz Auskunft.

„Das Kurhaus ist nicht nur ein Baudenkmal. Es steht für die Geschichte unserer Stadt im 20. Jahrhundert. Für uns war daher immer klar, dass dieses so wichtige Gebäude in seiner Form und in seinem Charakter erhalten bleiben muss. Die nun aufgestellten Tafeln vor dem Kurhaus fassen die Geschichte des Gebäudes in aller gebotenen Kürze, aber mit der wichtigen Prägnanz zusammen“, freut sich Bürgermeister Sebastian Wysocki über die weitere Vollendung des Gesamtprojekts.

Claus-Günther Kunzmann, Fachbereichsleiter Kultur der Stadt Bad Vilbel und Vorsitzender des Geschichtsvereins der Quellen- und Festspielstadt, kennt die Geschichte des Gebäudes sehr gut und trug daher maßgeblich dazu bei, die Texte für die Tafeln zu erstellen. „Das einstige Volkshaus ist im Grunde ein Spiegel der Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Erdacht und geplant von der aufstrebenden Sozialdemokratie, errichtet von Vereinen und der Arbeiterschaft, gekapert und missbraucht von den Nationalsozialisten und zurückerobert von den Demokraten nach 1945 steht es beispielhaft für das Schicksal vieler Gebäude und Orte in unserem Land. Es ist wichtig, dass wir daran erinnern und diese Geschichte für die folgenden Generationen gut aufbereitet und schnell fassbar festhalten“, so Kunzmann.

Die Erklärtafeln sind daher auch bewusst in der Optik schlicht gehalten, sie sollen weder das Kurhaus an sich, noch den Günther-Biwer-Platz überstrahlen, sondern das Gesamtensemble ergänzen. „Das Kurhaus verbindet Generationen, es schafft Identität für Bad Vilbel und es ist ein Ausdruck des Zusammenhalts der Bad Vilbeler Gesellschaft, den es heutzutage wieder mehr denn je braucht“, schließen Wysocki und Kunzmann.

 

Die Tafeln haben folgende Texte:

Das Volkshaus Bad Vilbel – aus Solidarität erbaut, von Geschichte geprägt

Ein Haus der Bewegung

Mit dem Ende des Sozialistengesetzes 1890 begann der rasante Aufstieg der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Deutschland. Gemeinsam mit Gewerkschaften sowie Sport- und Kulturvereinen entwickelte sie sich zu einer Massenbewegung. Der Wunsch nach eigenen Versammlungsorten wuchs – denn viele private Gaststätten boten zu wenig Platz oder verwehrten politischen Gruppen den Zutritt.

So entstanden ab der Jahrhundertwende im ganzen Land Volks- und Gewerkschaftshäuser: als Treffpunkte, Bildungsstätten, politische Bühnen und kulturelle Zentren. Auch in Vilbel wurde der Ruf nach einem solchen Haus laut. Bereits 1912 stellte der Sozialdemokrat Martin Reck im Gemeinderat den Antrag zur Errichtung eines Volkshauses – doch bis zur Umsetzung sollte es noch Jahre dauern.

Gemeinsamer Wille – große Hürden

Nach dem Ersten Weltkrieg florierte das politische und kulturelle Vereinsleben in Vilbel. Der Gasthof „Pfau“, bislang Versammlungsort vieler Arbeitervereine, wurde zu klein, so mussten sich sie Freie Turnerschaft und der Volkschor „Union“ häufig andere Räume suchen. 1923 griff Martin Reck, nun Vorsitzender des örtlichen Gewerkschaftskartells, das Thema erneut auf.

Es wurde eine Volkshaus-GmbH gegründet, ein Grundstück gesucht – und ein Finanzierungskonzept erarbeitet. Eine geplante Lotterie brachte nicht den erhofften Ertrag, daher musste zusätzlich eine Hypothek aufgenommen werden. Dennoch ging es weiter: 13 Architekturbüros beteiligten sich an einem Wettbewerb. Den Zuschlag erhielten die Frankfurter Architekten Bäppler und Müller.

Ein Bau aus eigener Kraft

Die Grundsteinlegung am 29. Mai 1927 war ein bedeutendes Ereignis. Zahlreiche Vertreter des öffentlichen Lebens – aus Politik, Justiz, Schule und Arbeiterschaft – nahmen teil. Das zeigte: Hier stand ein breites gesellschaftliches Bündnis hinter dem Projekt.

Auch der Bau selbst war ein Werk der Gemeinschaft. Viele Vilbeler, vor allem Maurer, leisteten Hunderte Stunden ehrenamtlicher Arbeit. Der Rohbau wuchs schnell: Bereits im Spätherbst 1927 standen die ersten Mauern. Am 4. März 1928 wurde Richtfest gefeiert.

Ein Haus für alle

Im August 1928 öffnete das Volkshaus erstmals zum Vilbeler Markt, die feierliche Einweihung folgte am 15. und 16. September. In der Festschrift hieß es: „Ein Haus für die gesamte Arbeiterbewegung – mit Raum für alle.“ Die wuchtige, kubische Architektur des Gebäudes symbolisierte den kraftvollen Zusammenschluss der Bewegung.

Das Volkshaus war mehr als nur ein Versammlungssaal. Es war ein Ort für Bildung, Kultur, Sport und Begegnung. Diskutiert wurde auch ein Mineralbad im Untergeschoss – als wirtschaftliche Ergänzung und Erweiterung. Zunächst blieb es bei dieser Idee, doch der politische Wille war deutlich spürbar.

Zwischen Krise und Konflikt

Von Beginn an war die Finanzierung des Baus herausfordernd. Nur durch Kredite, Sparmarken, Hypotheken – und vor allem durch die unentgeltliche Arbeit vieler – konnte der Bau realisiert werden. Doch es wurde teurer als geplant. Eine weitere Hypothek über 50.000 Reichsmark war nötig.

Die Gemeinde übernahm die Bürgschaft – sehr zum Unmut konservativer Kreise. Es kam zu erbitterten Debatten, doch die sozialdemokratische Mehrheit im Gemeinderat setzte sich durch.

Ein Bauwerk unter Druck

1928 erzielte die Volkshaus-GmbH noch einen kleinen Gewinn. Doch mit der Weltwirtschaftskrise stürzten auch die Einnahmen ein. Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und sinkender Besuch führten 1930 zu hohen Verlusten. 1931 musste die GmbH liquidiert werden.

Die Stadt nutzte ihr vertraglich gesichertes Vorkaufsrecht und übernahm das Gebäude. Wieder gab es Protest – doch auch diesmal blieb die SPD-Mehrheit standhaft.

Noch im selben Jahr wurden die Pläne für einen Badetrakt erneut aufgenommen. Verträge mit dem Heilwasserlieferanten Carl Brod wurden geschlossen, die Umsetzung 1933 in Angriff genommen. Der Grundstein für ein kommunales Heilbad war gelegt.

Vereinnahmt von der Diktatur

Im März 1933 übernahmen die Nationalsozialisten auch in Vilbel die Macht. Sie trafen auf ein nahezu vollendetes Gebäude – inklusive geplanter Badeanlage und neu angelegtem Kurpark. Das Haus war ein „gemachtes Nest“.

Im Mai 1933 wurde das Volkshaus in „Kurhaus“ umbenannt. Im August erfolgte die pompöse Einweihung – ganz im Stil nationalsozialistischer Propaganda. Die demokratischen Wurzeln des Gebäudes wurden bewusst verschleiert.

Neubeginn nach dem Krieg

Nach 1945 kehrte Kurt Moosdorf als Bürgermeister zurück. Zwei Jahre lang war das Gebäude durch die US-Armee besetzt. Erst 1948 konnte das Heilbad neu eröffnet werden – ein historischer Moment für die Stadt.

Moosdorf, der das Projekt einst mit initiiert hatte, führte es nun zu Ende. Ministerpräsident Christian Stock überreichte am 10. Mai 1948 die Urkunde, mit der Vilbel den Titel „Bad Vilbel“ erhielt – und sich damit auch offiziell als Heilbad ausweisen durfte.

Ein Ort mit langer Geschichte

Das Volkshaus – später Kurhaus – ist mehr als nur ein Gebäude. Es ist ein Denkmal solidarischer Tatkraft, Ausdruck eines starken bürgerschaftlichen Engagements, Schauplatz politischer Kämpfe und Symbol für Wandel und Neuanfang.

Errichtet in gemeinsamer Arbeit, vereinnahmt von der Diktatur – und schließlich zurückerobert in der Demokratie.